Leben retten statt Daten schützen – Risiken der DSGVO

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Leben retten statt Daten schützen: Risiken der DSGVO

Datenschutz gefährdet Patienten: Der hohe Datenschutz im deutschen Gesundheitswesen hemmt den medizinischen Fortschritt & kostet Menschenleben
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Ist der deutsche Datenschutz ein Fluch oder ein Segen? Auf der einen Seite fürchten wir uns vor Überwachung, Datenweitergabe und Manipulation, auf der anderen Seite akzeptieren wir blindlinks alle AGBs, posten Privates auf sozialen Medien und freuen uns über personalisierte Kampagnen. Wo soll also die Grenze zwischen Datenschutz und Datenfreigabe gezogen werden? 

 

Dort, wo Datenfreigabe Menschenleben rettet. Denn die gezielte und gesicherte Offenlegung von personenbezogenen Daten kann nicht nur die Modernisierung und Innovation im eigenen Land fördern, sondern auch direkt das Leben jedes Einzelnen beeinflussen. Das ist zum Beispiel in der Medizin der Fall, wo Zugriff auf Informationen über den körperlichen oder geistigen Gesundheitszustand im Notfall über Leben und Tod entscheiden kann. 

 

Dieser Signifikanz ist sich auch die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) bewusst, welche sich vehement für eine Lockerung der bisherigen Richtlinien ausspricht und den derzeitig praktizierten Datenschutz als Risiko für die Gesundheit vieler Patienten ansieht.

Datenschutz im deutschen Gesundheitswesen

Zum Schutz der Privatsphäre unserer Bürger ist das unbefugte Erheben, Speichern und Weitergeben von personenbezogenen Daten in Deutschland nicht erlaubt. Stattdessen soll jeder Mensch selbst darüber entscheiden können, wem seine Daten zugänglich gemacht werden. 

 

Das klingt in der Theorie sehr einleuchtend, bedeutet in der Praxis jedoch auch, dass keine Daten für medizinische oder wissenschaftliche Zwecke erhoben, gespeichert oder weitergeleitet werden dürfen. Obwohl dies sowohl dem Allgemeinwohl als auch dem Wohl des Einzelnen nützen würde, ist die Rechtslage für den medizinischen Bereich sogar noch weiter verschärft. 

 

Denn bei Gesundheitsdaten handelt es sich um besonders sensible personenbezogene Daten, die daher auch einen besonders hohen Rechtsschutz genießen. Hierzu zählen alle Daten, die sich auf den Gesundheitszustand einer Person beziehen oder Informationen über das frühere, gegenwärtige und künftige körperliche bzw. geistige Wohlbefinden offenbaren. 

 

Diese Daten liegen insbesondere Krankenhäusern, Arztpraxen, Pflegeeinrichtungen, Krankenversicherungen, Apotheken und Forschungseinrichtungen vor, doch selbst die Kommunikation zwischen diesen Einrichtungen ist aufgrund der DSGVO nicht gestattet. 

 

Erschwerend kommt hinzu, dass neben den aktuellen Datenschutzbestimmungen im Gesundheitswesen auch immer die Verschwiegenheitspflicht greift. Informationen, auf welche das Krankenhauspersonal Zugriff hat, unterliegen dem Arztgeheimnis – ein Verstoß kann hier sogar strafrechtlich verfolgt werden. Der Datenschutz im Gesundheitswesen ist somit sogar doppelt abgesichert. 

Weltweiter Datenschutz im Vergleich

Deutschland fällt bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems im Vergleich zu anderen Ländern immer weiter zurück. Der Grund dafür ist die strikte Anwendung des Datenschutzes und die kompromisslose Auslegung der DSGVO. So werden hierzulande Praktiken und digitale Lösungen, die in vielen anderen Industrieländern gang und gäbe sind, weiterhin geblockt: 

 

  • Dänemark: Jeder Patient hat eine persönliche Identifikationsnummer, unter welcher zentral alle medizinischen Daten gespeichert werden, damit im Notfall jeder Arzt darauf zugreifen kann. So kann im Rettungswagen schneller agiert und unerkannte Medikamentennebenwirkungen leichter aufgedeckt werden. 
  • China: Patientendaten werden für die Entwicklung künstlicher Intelligenzen genutzt, die wir teilweise auch in Deutschland benutzen, wie zum Beispiel in der Endoskopie. 
  • Skandinavien & Beneluxstaaten: Krankenversichertennummern dürfen für Forschungszwecke genutzt werden, um die Folgen von Krankheiten, Therapien und Medikamenten zu untersuchen. • Israel: Ferndiagnosen und Fernbehandlungen über Video sind selbstverständlicher Teil der Gesundheitsversorgung. 
  • Estland: Jeder Bürger hat eine elektronische Patientenakte, auf welche er einzelnen Ärzten oder allem medizinischen Personal Zugriff geben kann. Außerdem kann er die Ergebnisse seiner Untersuchungen, Medikationspläne und Impfdaten jederzeit online einsehen.
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Diffuse Angst vor Datenmissbrauch hemmt Fortschritt

Während andere Länder künstliche Intelligenzen, innovative Technologien und neue Medizingeräte entwickeln, die wir mitunter auch in Deutschland nutzen, bleibt uns dieser Fortschritt im eigenen Lande verwehrt. Aufgrund des Datenschutzes dürfen keinerlei gesundheitliche Daten weitergegeben werden, selbst wenn diese ein höheres Ziel verfolgen. Der Datenschutz scheint in Deutschland immer an erster Stelle zu stehen. 

 

Eine Kombilösung, welche einerseits die Risiken für Patienten so gering wie möglich hält, andererseits jedoch der Forschung relevante Daten zur Verfügung stellt, liegt nach wie vor in den Sternen. Stattdessen müssen Ärzte und Pflegekräfte unverhältnismäßig viel Aufwand für die sachgerechte Datennutzung betreiben und immer mehr Zeit am Computer anstatt am Krankenbett verbringen. 

 

Mehr als die Hälfte der Arbeitszeit im Krankenhaus findet heutzutage schätzungsweise am PC statt, obwohl eine gelungene Digitalisierung eigentlich das Gegenteil bewirken sollte. 

 

Datensicherheit statt Datenschutz

Nicht verfügbare Gesundheitsdaten bedeuteten ein Risiko für jeden Einzelnen und können im Extremfall sogar lebensbedrohliche Folgen haben. Das erkennt sogar die DGIM und bewertet den in Deutschland praktizierten Datenschutz als Risiko für die Gesundheit vieler Patienten

 

Die größte medizinische Fachgesellschaft Europas mit rund 28.000 Mitgliedern spricht sich im April 2022 öffentlich gegen das sehr, sehr hohe Datenschutzniveau in Deutschland aus und fordert entsprechende Lockerungen

 

Zum einen kritisiert sie den mangelnden Austausch wichtiger Patientendaten zwischen Klinikabteilungen, Arztpraxen und Apotheken, welche die Behandlungen verzögern und die Diagnose erschweren: Wenn der Notarzt nicht weiß, wie der Facharzt behandelt hat und die Einsicht der Patientendaten verwehrt bekommt, kann diese Zugriffsblockade unter Umständen Leben kosten. 

 

Zum anderen weist die DGIM darauf hin, dass Deutschland in puncto medizinischem Fortschritt und Forschung hinterherhinkt, da die Auswertung relevanter Daten zu Studienzwecken erschwert oder häufig sogar verhindert wird: Wenn nur die unmittelbar notwendigen personenbezogenen Daten und Informationen erfragt werden, kann diese Datensparsamkeit klinische Studien eindämmen, Krankheitsregister verfälschen und populationsbasierten epidemiologischen Untersuchungen erschweren. 

 

Statt auf Datenschutz sollte stattdessen lieber auf Datensicherheit gesetzt werden. Der Kongresspräsident Markus M. Lerch fordert deshalb dokumentierte Zugriffe auf Gesundheitsdaten, anstelle von kompletten Zugriffsblockaden. Die Patientendaten sollen nicht länger vor Nutzung, sondern vor Missbrauch geschützt und unrechtmäßige Verwertung personenbezogener Daten strafrechtlich verfolgt werden.

 

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Datenschutz-Folgenabschätzung: Lockerungen können Leben retten

Die Digitalisierung ist essenziell für die Patientenversorgung und den medizinischen Fortschritt. Deutschland sollte sie folglich eher als Chance annehmen und nicht als Risiko ansehen. Im Gesundheitswesen muss deshalb ein Wandeln hin zu mehr systemrelevanter Datennutzung erfolgen, um die Forschung zu unterstützen und die Patientenversorgung zu optimierenDenn Datenschutz ist wichtig, doch Menschenleben retten ist wichtiger

 

Deshalb fordern wir und die DGIM keinen Freibrief für die Weitergabe von Gesundheitsdaten, sondern eine Koexistenz von DSGVO-Richtlinien und unverzichtbaren Ausnahmebestimmungen. Denn Datenschutz darf heute nicht mehr bedeuten, dass wir um jeden Preis die Privatsphäre schützen und vor allen anderen Konsequenzen die Augen verschließen. 

 

Patienten haben ein Recht darauf, dass ihre Gesundheitsdaten zu medizinischen Zwecken weiterverwendet werden, um die eigene Gesundheit zu erhalten und die Leben anderer zu retten.