Gesundheitskioske: So soll das Deutsche Gesundheitssystem jetzt gerechter werden
1.000 Gesundheitskioske sollen in den nächsten Jahren entstehen und den Zugang zu einer flächendeckenden und niederschwelligen Gesundheitsversorgung insbesondere für benachteiligte Bevölkerungsgruppen verbessern – so das Bundesgesundheitsministerium. Aber welche Leistungen sollen Gesundheitskioske anbieten, von wem werden sie betrieben und wie läuft die Finanzierung ab? Alle bisher bekannten Informationen zur Gesetzesinitiative lesen Sie hier im Überblick!
Was ist ein Gesundheitskiosk?
Jede und jeder gesetzlich Versicherte hat den gleichen Anspruch auf medizinische Versorgung, unabhängig von individuellen Voraussetzungen wie Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung oder dem Wohnort. In der Realität verschlechtern aber sozioökonomische Faktoren wie Einkommen, Bildung und Migrationshintergrund die Chancen auf diese Grundversorgung zeigen, dass Personen mit geringerem Einkommen und Bildungsstand ihren Gesundheitszustand tendenziell schlechter einschätzen.
PatientInnen mit Migrationshintergrund werden beispielsweise im Gesundheitssystem häufig vor hohe sprachliche und bürokratische Barrieren gestellt. Auch Menschen aus bildungsschwachen Milieus weisen meist eine geringere Gesundheitskompetenz auf und haben mit dem Verständnis von medizinischen Fachinformationen Schwierigkeiten. Auch wenn viele wichtige Informationen mittlerweile sowohl in Fremdsprachen als auch in Leichte Sprache übersetzt werden, erreichen sie die Betroffenen häufig trotzdem nicht.
Mit der Gesetzesinitiative für den Aufbau von 1000 Gesundheitskiosken will die Regierung den Zugang zur Gesundheitsversorgung in den strukturschwächsten Stadtteilen und Gemeinden in Deutschland verbessern. Pro 80.000 Einwohner soll so ein Gesundheitskiosk entstehen, der den Menschen vor Ort als erste Anlaufstelle für ihre medizinischen und psychosozialen Anliegen dient und bestimmte sozioökonomische Gruppen wieder in das Sozialsystem integriert.
Welche Leistungen bietet ein Gesundheitskiosk an?
Gesundheitskioske sollen grundsätzlich allen Bürgern offenstehen, richten sich aber vor allem an Menschen, die einen erschwerten Zugang zu medizinischer Versorgung haben. Dementsprechend soll ein Gesundheitskiosk in der Zukunft auch medizinische Leistungen bereitstellen, für die viele andere zu ihrem Hausarzt gehen:
- Niedrigschwellige Beratung zu Gesundheitsfragen wie Impfung, Infektionsprävention, Vorsorge
- Grundlegende Diagnostik (Bluttests, sexuell übertragbare Krankheiten etc.)
- Gruppen und Kurse zur Gesundheitsförderung (z.B. Ernährung und Bewegung)
- Vermittlung an weiterführende Stellen und Fachärzte
Gleichzeitig soll der Gesundheitskiosk Betroffene langfristig in ihren Kompetenzen stärken und laut Stellungnahme des Bundesverbands für Prävention und Gesundheitsvorsorge e.V. als “Schnittstelle zwischen der medizinischen Versorgung und dem Sozialraum” (Bundesverband Prävention und Gesundheitsvorsorge e.V. in seiner). Daher sind zusätzlich auch diese Angebote geplant:
- Individuelle Förderung der Gesundheitskompetenz durch die Krankenkassen
- Bereitstellung von Informationsmaterialien
- Koordinierung der Träger bei der Beantragung von Gesundheitsleistungen
- Unterstützung bei der Terminbuchung und anderen formellen Angelegenheiten
Gesundheitskiosk in Hamburg seit 2017 ein Erfolg
Pate für die deutschlandweite Initiative steht ein erfolgreiches Modellprojekt in Hamburg. Seit 2017 fungiert ein Gesundheitskiosk in Billstedt/Horn als Anlaufpunkt für alle Menschen im Stadtteil. Die Beratung wird sowohl in Deutscher als auch in sechs weiteren Sprachen angeboten.
Aber auch in Bezug auf die Digitalisierung des Gesundheitswesens hat sich der Gesundheitskiosk bereits als Vorreiter erwiesen. So können KlientInnen über die Website jederzeit einen Termin für eine Online-Videosprechstunde buchen und so die Leistungen des Stadtteilzentrums ortsunabhängig von zu Hause in Anspruch nehmen.
Eine Studie der Uni Hamburg hat 2021 den Erfolg des Konzepts in Billstedt/Horn nachgewiesen. Mehr als jeder zweite Versicherte hat das Angebot mindestens einmal in Anspruch genommen. Die effektive Behandlung führte sogar zu einer Reduktion von vermeidbaren Todesfällen um 19 % im Vergleich zu anderen Stadtteilen in Hamburg.
Aufgrund der positiven Erfahrungen mit niedrigschwelliger Gesundheitsvorsorge im Stadtteil hat der Bundesverband Prävention und Gesundheitsförderung e. V. eine Empfehlung zur Übernahme des Konzepts in die staatliche Regelversorgung ausgesprochen.
Gesundheitskiosk: Retail Clinics aus den USA sind Vorbild
Das Konzept der Gesundheitskioske ist keine komplett neue Idee. In den USA gibt es bereits über 2.000 sogenannte “Retail Clinics”, welche in Einkaufszentren und anderen öffentlichen Orten angesiedelt sind. Die US-amerikanischen Pendants zum Gesundheitskiosk werden allerdings privatwirtschaftlich betrieben und sind – wie fast alle Gesundheitsleistungen in den USA – für die Bevölkerung nicht kostenlos.
Trotzdem wird das Angebot so gut angenommen, dass der Markt seit Jahren wächst. In Deutschland würde sogar diese zusätzliche Barriere wegfallen.
Wann erfolgt die flächendeckende Implementierung der Gesundheitskioske?
Anfang September veröffentlichte das Bundesgesundheitsministerium eine erste Absichtserklärung mit Eckdaten zum Vorhaben. Die beschriebene Finanzierung steht allerdings in der Kritik. So äußerten bereits einige Kommunen ihre Bedenken zur Finanzierbarkeit des Vorhabens.
Auch Vertreter der privaten Krankenversicherungen wollen die geplanten 5,5 Prozent der Kosten nicht übernehmen. Ihre Versicherten seien nicht die Zielgruppe des Gesundheitskiosks, so ein Vertreter gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Der Dachverband der AOK forderte indes einen Finanzierungsanteil der Kommunen von 50 Prozent.
Die Ärzteschaft warnt dagegen vor teuren Doppelstrukturen. Auch die Anzahl der Gesundheitskioske sei mit 1000 Einrichtungen zu hoch angesetzt.
Noch ist unklar, wann die Initiative flächendeckend ausgerollt wird. Auch der Leistungskatalog ist weiterhin ungeklärt und wird wesentlich von der Einigung in der Finanzierungsfrage abhängen. Die kürzlich veröffentlichte Antwort auf eine Kleine Anfrage der Union zu Gesundheitskiosken legt offen, dass es bisher keine weiteren Abstimmungen zum Gesetzentwurf gegeben hat.
Eine Erprobungsphase sowie die Anbindung an die Telematik-Infrastruktur sind aber laut Antwort bisher nicht geplant. Fest steht, dass der Gesundheitskiosk nach den Überlegungen des Bundesministeriums für Gesundheit unterstützend und koordinierend wirken und die Beratungssuchenden in die bestehenden präventiven und kurativen Versorgungsstrukturen lotsen soll.
Außerdem soll eine enge Kooperationen mit dem ÖGD oder mit Ärztinnen und Ärzten im niedergelassenen Bereich sichergestellt werden.
Wer soll Gesundheitskioske betreiben?
Bei der Standortwahl sollen Kommunen ein Initiativrecht erhalten. Falls eine Gemeinde dieses in Anspruch nimmt, muss der jeweilige Landesverband der gesetzlichen Krankenkasse den Aufbau des Gesundheitskiosks federführend übernehmen. Ansonsten sollen die Kassen mit der Initiative “GKV – Bündnis für Gesundheit” – Gesundheitsförderung und Prävention in allen Lebenswelten den Aufbau der niedrigschwelligen Angebote bestmöglich unterstützen.
Das Konzept des Gesundheitskiosks ist von der Idee des Community Health Nursing geprägt. Die Leitung eines Gesundheitskioskes soll nicht durch Ärzte, sondern zunächst durch examinierte Pflegefachkräfte erfolgen. Mittelfristig sollen auch Pflegefachkräfte mit Heilkundekompetenz die Leitung übernehmen dürfen. Dadurch sollen mögliche Berührungsängste mit Ärzten abgebaut werden.
Fazit: Gesundheitskioske sollen Gerechtigkeit schaffen
Gesundheitskioske sollen grundlegende medizinische Beratungs-, Versorgungs- und Präventionsleistungen in benachteiligte Stadtteile bringen und zielen mit einem niedrigschwelligen, mehrsprachigen Angebot direkt auf Menschen ab, die ansonsten durch das Gesundheitssystem fallen.
Wie Gesundheitskioske in der Zukunft konkret aussehen könnten, ist bislang unklar. Das Modellprojekt in Hamburg zeigt aber: Die Leistungen werden in Anspruch genommen und haben das Potenzial, die Gesundheitsversorgung von tausenden Menschen zu verbessern und Leben zu verlängern.